Alternativen leben: Ein Ausflug ins Ökodorf
Ich hatte eine grobe Idee, was uns in dem Ökodorf Sieben Linden erwarten würde, genau wissen konnte ich es jedoch nicht. Eine Idee deswegen, weil wir uns natürlich zuvor auf der Internetseite informierten und weil wir im Oktober letzten Jahres bereits einmal ein Ökodorf in Irland besuchten – Cloughjordan etwa 150 km südwestlich von Dublin. Die Erfahrungen dort sind eine eigene Story wert, vor allem weil wir den Ausflug dorthin zusammen mit den Leuten unseres Studiengangs, sozusagen als „Global Change Gang“ machten.
Diesmal traten wir die Erfahrungsreise nur zu zweit an und verbanden unseren Besuch in Sieben Linden mit einer dreitägigen Radtour, ausgehend von unserer derzeitigen Homebase Leipzig. In drei Etappen legten wir insgesamt 280 km zurück und machten dabei Zwischenstopps in Dessau-Roßlau und Magdeburg.
Warum der Aufwand mit dem Rad und Übernachtungen an Orten, die nicht gerade unter den Top 10 der interessantesten Städte Deutschlands zu finden sind? Weil wir finden, dass zu einem Besuch eines Ökodorfs auch eine angemessene Anreise gehört. Und weil wir gerne Radfahren, uns der Weg dorthin durch eine wunderbare Landschaft entlang Mulde, Elbe und Ohre führt und Aktivurlaub sowieso viel spannender ist, als einfach schnell von A nach B zu fahren. Außerdem, und diesen Aspekt sollte man nicht unterschätzen, schmeckt ein kühles frisch gezapftes Bier nach 85 km Radfahren einfach noch viel besser als nach einer Zugfahrt.
Wir kamen also jenen Freitagnachmittag etwas ausgebrannt und schwitzend in Sieben Linden angeradelt, mit zunächst nur einem Ziel: Fred finden. Denn Fred ist ein Bewohner des Dorfes, der uns alles zeigen sollte. Glücklicherweise wurden wir schnell fündig, denn Fred wartete bereits auf uns, mit einer Tasse Lupinenkaffee in der Hand und deutliche jünger, als wir es von einem Ökodorfbewohner mit dem vollen Namen Manfred erwartet hätten.
Sofort fiel mir die angenehme Ruhe und Zufriedenheit auf, die Fred ausstrahlte und ich sollte schon bald erfahren, dass sich diese angenehme Aura durch den gesamten Ort zieht.
Kaum angekommen, führte er uns auch schon zu dem ersten kleinen Highlight: Einen Bauwagen, der uns die nächsten beiden Nächte als Unterkunft dienen sollte. Darauf freute ich mich schon seit Tagen (ja, ernsthaft), denn in einem Bauwagen zu hausen, war irgendwie schon immer ein kleiner Kindheitstraum von mir. Das korreliert vermutlich damit, dass ich damals ein ziemlicher Löwenzahn-Serienjunkie war. In meinem Kopf machte ich daher freudig ein weiteres Häkchen auf meiner noch viel zu langen I-want-to-do-Liste des Lebens. Wieder was geschafft! Und wie so oft, sind es mal wieder die kleinen Dinge im Leben, die uns glücklich stimmen.
Der Bauwagen war klein und gemütlich, mit zwei Einzelbetten und einem urigen Holzofen, den wir bei dem schönen Wetter aber erst gar nicht anheizen brauchten. Eine Toilette gab es nicht, aber das war auch nicht nötig, denn davon gab es draußen genug.
Der Bauwagen: unser vorübergehendes Zuhause (eigenes Foto).
Im gesamten Ort gibt es ausschließlich Komposttoiletten, die ohne Spülung auskommen. Im Grunde handelt es sich dabei um Plumpsklos. In den Häusern (nicht alle Menschen dort schlafen in Bauwagen) unterscheiden sie sich vom Komfort her betrachtet im Grunde überhaupt nicht von herkömmlichen Toiletten. Sie sehen geschlossen genauso aus; der Unterschied ist lediglich, dass sie nicht durch eine Wasserrohrleitung mit der Kanalisation verbunden sind, sondern ein Rohr aufweisen, welches senkrecht in einen Sammelbehälter führt. Was dort unten ankommt sieht man von oben nicht. Ehrlich. Im Außenbereich findet man für experimentierfreudige auch diverse typische Plumpsklos, die schlicht aus einem Brett, einem Loch und einer Schubkarre bestehen. Auch das sollte man zumindest einmal im Leben ausprobiert haben.
Bei allen Varianten werden die – wir nennen es hier jetzt mal Materialien gesammelt und an einem dafür extra angelegten Ort im Außenbereich fachmännisch gelagert, sodass diese kompostiert werden. Mit ein bisschen Zeit wird daraus wieder Erde. Ein geschlossener Kreislauf, der Ressourcen spart und außerdem deutlich macht, wie alles in dieser Welt zusammenhängt.
Die guten alten Außenplumpsklos (eigenes Foto).
Kommen wir mal vom Klo zum Essen. Denn auf das freuten wir uns schon ganz besonders. Zum einen, weil wir neben dem Radfahren auch sehr gerne essen. Zum anderen, weil wir bereits wussten, dass es sich bei den Mahlzeiten um vegetarische und vegane Gerichte handelt, für die ausschließlich Bioprodukte aus überwiegend regionalem oder sogar eigenem Anbau verwendet werden. Ein Traum für mich, wo ich doch bei meinem wöchentlichen Einkauf immer unendlich viele Kriterien überprüfe und deswegen öfters auch mal im Laden die Krise kriege.
Der Gemeinschaftsvorratsraum in Sieben Linden, in den wir einen kurzen Blick erhaschen durften, gleicht einem Bioladen und die Felder und Gärten sind ein eigenes kleines Schlaraffenland: Obstbäume, Rhabarber, Johannisbeersträucher, Tomatenpflanzen, Kartoffeln, Salate und vieles mehr. Sofort verspürte ich das Verlangen, das Dörfchen zur Erntehauptzeit nochmals zu besuchen um all die Leckereien frisch vom Feld zu probieren. Vielleicht kombiniert mit einer, vom Dorf aus angebotenen, Ernte-Arbeitswoche, wenn es meine Zeit erlaubt?
Und als wäre ich nicht sowie schon völlig geflasht gewesen von all den Eindrücken die ich gierig in mir aufsog, erblickte ich ein weiteres, ja ich muss zugeben recht attraktives, Detail: Inmitten von all dem stand ein junger Mann: barfuß und braun gebrannt, mit langen dunkelblonden Dreadlocks und durch die Feldarbeit leicht verstaubter Haut, setzte er junge Sprösslinge in kleine Töpfchen und perfektionierte das Bild vor meinen Augen, welches sich bereits in mein Gehirn eingebrannt hatte. Er sah aus, als sei er genau für diesen Ort bestimmt… Kurz fragte ich mich, ob ich vielleicht schon ein wenig zu viel Lupinenkaffee intus hatte und ob das eventuell eine Art Rauschzustand hervorrufen könnte.
Aber nein, ich bin mir doch ziemlich sicher, dass diese inspirierende innere Ruhe, die sich in mir ausbreitete, real war. Alles ergab für mich an diesem Ort einen Sinn. Wenn ich normalerweise durch die Straßen gehe, treffe ich ständig auf irgendwelche Dinge (und durchaus auch Menschen), die mich auf die Palme bringen oder bei denen ich mich frage, was der Mist denn bitte soll. Aber nicht in Sieben Linden. Nichts dort war überflüssig und gleichzeitig schien nichts zu fehlen. Alles war irgendwie vollkommen und völlig im Einklang mit der Natur.
So auch die Wohnhäuser, die nicht etwa aussehen wie mit Gras überwachsene Hobbithöhlen, obwohl das sicher auch seinen Reiz hätte. Sie sind vielmehr pragmatisch-kreative Konstrukte im Niedrigenergiestandard, entstanden aus einer Mischung modernster Technik, künstlerischer Freiheit und der Verwendung nachhaltiger Materialien: überwiegend Holz, Lehm und Stroh. Ihre 1A Dämmung verdanken sie gut getrockneten Strohballen, die in die Wände mit eingebaut werden. Sonnenkollektoren auf den Dächern der Gebäude oder verteilt auf dem Geländer dienen zum Heizen und der Warmwasserzubereitung und mittels Photovoltaikanlagen produziert das Dorf außerdem deutlich über die Hälfte an Strom, den es verbraucht selbst
Beispielhaus, welches das Grundbaukonzept aus Holz, Lehm und Stroh verdeutlicht (eigenes Foto).
Gemeinschaftshaus (eigenes Foto).
Das gesamte Leben im Ort und auch in den Häusern basiert auf einer starken Gemeinschaft. Mehrere Familien oder auch Einzelpersonen teilen sich die Häuser. Zwar hat jeder auch Raum für sich, aber es gibt stets gemeinsame Räumlichkeiten, die von den Bewohnern geteilt werden. Dazu gehört beispielsweise die gemeinschaftliche Nutzung von Küchen, Waschmaschinen oder auch Toiletten. Im Grunde gleicht das einer typischen Wohngemeinschaft, wie man sie auch in Städten kennt. Nur eben, dass es sich dabei in Sieben Linden nicht nur um einen Übergangszustand handelt, sondern zum Grundkonzept des Dorfes gehört.
Der Gemeinschaftsaspekt geht auch über das Wohnen hinaus. Im Gemeinschaftshaus wird zusammen gegessen, gefeiert oder einfach Zeit miteinander verbracht. Jeder Dorfbewohner widmet sich außerdem einer ganz bestimmten Aufgabe, z.B. der Landwirtschaft, Gärtnerei, der Reinigung von Räumlichkeiten oder auch dem Kompostieren. Man übernimmt damit Verantwortung, unterstützt sich gegenseitig und nimmt stets Rücksicht aufeinander. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt, denn das Konzept des Ökodorfes funktioniert nur dann, wenn alle an einem Strang ziehen.
Nach allem was wir gesehen hatten, waren wir sehr gespannt auf den Samstagabend im Dorfpub. Wir malten uns schon aus, was es wohl für Musik geben wird und tippten vorfreudig auf 70er/80er Rock, leichten Reggae Klängen und Gitarren Livemusik. Auf das was dann kam, waren wir nicht vorbereitet: Schlagartig wurden wir mitsamt kreisender bunter Discokugel gedanklich eher zurück auf eine mittelmäßige Discoparty ins Ende der 90er katapultierte als in ein alternatives Flower Power Spektakel à la Woodstock.
Zugegeben, ich war ein wenig enttäuscht, aber es trübte meinen positiven Gesamteindruck keineswegs. Menschen, die solch ein nachhaltiges Leben führen und tagtäglich zukunftsorientiert und bewusst handeln, denen sei ein wenig eigenartige Nostalgie durchaus gegönnt.
Am Ende bin ich davon überzeugt, dass es nicht der Lupinenkaffee war, der mich berauscht hatte. Sondern, dass es tatsächlich die Atmosphäre des Dorfes mit all seinen Bewohnern war, die mich in ihren Bann zog. Der Ort zeigt deutlich was alles möglich ist um sein Leben nachhaltig zu gestalten und er beweist auch, wieviel von dem was wir in unserer Gesellschaft als normal ansehen, eigentlich überflüssig ist. Diese Erfahrung ließ mich zwei Tage lang völlig frei durchatmen, fern ab von Stadtlärm, Handygebimmel, Hektik und Überkonsum.
Ob ich mir ein Leben dort vorstellen könnte? Ja und Nein. Ein 100%es Ja in Bezug auf die Nachhaltigkeit, die Schonung der Ressourcen, die Kompostiertoiletten, das naturnahe Leben und die eigene Landwirtschaft. Auch mit der bunten Diskokugel könnte ich mich sicher nach einer Weile arrangieren. Unsicher wäre ich allerdings in Hinblick auf das enorm gemeinschaftliche und auch recht abgeschiedene Leben. Ich weiß nicht, ob ich mich darauf voll und ganz einlassen könnte. Ich lege mich ungern fest, genieße meinen persönlichen Freiraum und auch die Flexibilität, die mir eine Stadt bietet. Zudem bin ich sehr gerne auch mal einfach nur allein; Zeit für mich, in der ich keinerlei Verpflichtungen gegenüber anderen Menschen trage ist mir sehr wichtig.
In Siebenlinden zu wohnen hieße also auch, mein recht rastloses Eigenbrötler Dasein aufzugeben und mich dem Leben in einer starken verantwortungsvollen Gemeinschaft hinzugeben. Noch bin ich dazu nicht bereit. Aber vielleicht irgendwann.
Denn ich glaube tatsächlich, dass das Zurückfinden in lokale weltbewusste Gemeinschaften ein wichtiger Meilenstein ist, den die Menschheit setzen muss, um am Ende wirklich etwas in dieser Welt ändern zu können.
Liebe Kathi,
vielen Dank für den schönen und z.T. amüsanten Artikel. =)))
Ich mag Deine Art zu schreiben!
Alles Liebe für Euch
Fred
Lieber Fred,
Dankeschön, das freut mich zu hören! Dir auch alles Gute & falls du mal Sehnsucht nach der Stadt hast, weißt du ja wo du uns findest 😉