30
Nov

Ein Leben ohne Winter

Als ich noch ein Kind war, hatten wir zu Hause diese Traditionen, die sich immer änderten  je nachdem in welcher Zeit des Jahres wir uns gerade befanden. Ich erinnere mich im März die ersten Weidenkätzen gepflückt zu haben, die meine Mutter danach benutzte um den Küchentisch zu schmücken. Oder daran wie ich Armbänder aus Gänseblümchen im Juni herstellte, ebenso wie an den Geschmack der selbst gemachten Erdbeermarmelade meines Großvaters, die ich immer noch so sehr liebe. Ich erinnere mich auch, wie mein Vater und ich jedes Jahr im Oktober im Park der benachbarten kleinen Altstadt bunt gesprenkelte Eichenblätter und Kastanien sammelten. Im Dezember bastelten wir Schneeflocken aus Papier oder fuhren Schlitten an einem kleinen Hang, der damals für mich eher wie ein Berg erschien. Ich kann mich an all diese Dinge erinnern als seien sie gestern gewesen. Und mit der Erinnerung kommen auch all die damit verknüpften Gefühle und Gerüche zurück.

Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Die typischen vier Jahreszeiten der gemäßigten Klimazonen unserer Erde.

Vielleicht ohne genaue diese eine Absicht zur verfolgen, lehrte mich meine Familie die Bedeutung und Schönheit der Jahreszeiten, und brachte mich damit auch gleichzeitig der Natur und dem Klima näher. Aber mit den Jahren verlor ich diese Traditionen. Natürlich war ich mir noch immer den Jahreszeiten bewusst, aber ich hieß sie nicht mehr Willkommen wie ich es als Kind tat. Ja, ich glaube ich hatte begonnen sie für selbstverständlich zu erachten.

Es war ein Freund, der sie mir erst kürzlich wieder näher brachte, als er mir erzählte, dass er aufgehört hatte die traditionellen religiösen Feiertage, wie Weihnachten oder Ostern, zu feiern, und stattdessen anfing den Beginn der Jahreszeiten zu zelebrieren. „Essen, Trinken und Wetter, all das beruht auf dem Wechsel der Jahreszeiten. Was könnte ein besserer Grund zum Feiern sein und dafür unsere Umwelt zu verstehen?“  – Wie Recht er hat. Eine so einfache Idee aber mit einer so großen Bedeutung.

Aber es geht dabei nicht nur darum in Nostalgie zu schwelgen. Vor allem wenn man bedenkt, dass die Jahreszeiten, so wie wir sie kennen, vielleicht einfach verschwinden könnten. Denn auf diesem Weg befinden wir und tatsächlich gerade.

Es ist ja mittlerweile allseits bekannt, dass der Klimawandel global betrachtet zu erhöhten Temperaturen, einen Anstieg des Meeresspiegels oder vermehrt zu Überflutungen und Dürren etc. führt. Aber was bedeutet Klimawandel im Zusammenhang mit temporären Temperaturschwankungen, wie wir sie von unseren Jahreszeiten her kennen? Nun ja, das war bisher noch nicht der Schwerpunkt der Klimaforschung, aber glücklicherweise beschäftigen sich Wissenschaftler nun immer häufiger mit dieser Frage.

Beispielsweise konnte Dr. Wang vom Max Planck Institut für Entwicklungsbiologie zeigen, dass der Temperaturunterschied zwischen Tag und Nacht prinzipiell größer wird, während der Unterschied zwischen Sommer und Winter sich verringert. In anderen Worten bedeutet das, dass kurzfristige Temperaturschwankungen, wie wir sie etwa innerhalb einer Woche verzeichnen können, den Variationen über ein gesamtes Jahr gesehen immer ähnlicher werden. Für die Stadt Wiesbaden beispielsweise, konnten die Wissenschaftler zeigen, dass während die Temperaturdifferenz zwischen Sommer und Winter 1992 noch bei 25°C lag, sie heute nur noch etwa 18°C beträgt. Der Unterschied zwischen Tag und Nacht hingegen, hat sich von 1.2°C auf 5.2°C vergrößert. Solche Muster werden umso prägnanter je näher man den Polen kommt bzw. je weiter entfernt man vom Ozean ist, wie etwa in Kanada oder Russland (1).

Kurz gesagt, die Jahreszeiten wie wir sie kennen schwinden mehr und mehr, da Winter und Sommer sich immer ähnlicher werden. Das bleibt natürlich nicht ohne Konsequenzen für die Ökologie, denn die Natur ist gezwungen sich dem Wandel der Jahreszeiten anzupassen – vorausgesetzt sie schafft es. Der Beginn der Blütezeit, Brutzeiten, Vogelzüge oder Fruchtreife – all das (und noch vieles mehr) wird reguliert durch den Wechsel der Jahreszeiten; dem Unterschied in Temperatur, Licht- und Wasserverfügbarkeit.

Aber muss uns das als Mensch überhaupt interessieren? Warum sollten wir uns denn kümmern wann genau die Kraniche Richtung Süden ziehen oder die Karnickel  wuschig werden? Weil wir sind doch immerhin die Krönung der Schöpfung, die Spezies die sich an alles anpassen kann, oder etwa nicht? Wir können unsere Weidenkätzchen früher sammeln (und überhaupt, wer interessiert sich denn heutzutage noch für Weidenkätzchen?), unsere Erdbeeren ganzjährig importieren lassen (Machen wir doch eh schon!) und einfach in Norwegen Ski fahren anstatt in Österreich!

Naja, vermutlich könnten wir das…

Aber es gibt mindestens zwei Aspekte, über die es sich vielleicht lohnt nachzudenken. Zum einen, die Veränderung der Jahreszeiten hat in der Tat direkten Einfluss auf uns Menschen (auch für diejenigen, die sich nicht für Weidenkätzchen oder Babyhasen interessieren). Pollenallergie, die Verbreitung von krankheitsübertragenenden Insekten aufgrund milder Winter oder die Verringerung von Ernteerträgen sind dabei nur ein paar wenige Beispiele.

Zum anderen sollten wir uns fragen: Wollen wir es wirklich hinnehmen die Jahreszeiten zu verlieren und uns einfach anpassen? Eine Veränderung, die nicht nur große Auswirkungen auf die Natur um uns herum haben würde, sondern auch auf die menschliche Natur? Unsere Kultur, unsere Traditionen und all diese Erinnerungen… Sollten Eltern einfach aufhören mit ihren Kindern Schneeflocken zu basteln, weil wir Schnee im Winter nicht mehr kennen werden? Werden wir den Geschmack eines starken Winterbiers oder mit Zimt gewürzten Punsches einfach vergessen? Und wollen wir wirklich ohne diesen sanften unverkennbaren Geruch leben, den die Luft annimmt wenn der Frühling vor der Tür steht oder der Sommer dem Ende zugeht?

Für mich ist die Antwort eindeutig: Ich will das alles nicht aufgeben. Wenn ich so intensiv darüber nachdenke, wird mir bewusst wie sehr ich es vermissen würde und dass es eine Schande wäre, wenn wir nicht mehr fähig wären all diese kleinen großartigen Besonderheiten der verschiedenen Jahreszeiten an die nächsten Generationen weiterzugeben.

Leider ist es bereits dabei zu verblassen und wenn wir weiterhin so schlecht mit unserem Planeten umgehen, werden wir die Jahreszeiten vielleicht irgendwann ganz verlieren.

Ist das nicht Grund genug es meinem Freund gleichzutun und die Jahreszeiten wieder mehr zu schätzen und zu feiern? Und das ganz nebenbei als Gelegenheit nutzen um das allgemeine Bewusstsein ihrer Bedeutung und Vergänglichkeit wieder neu zu erwecken? Winteranfang ist dieses Jahr am 22. Dezember. Ich würde sagen, es ist höchste Zeit das Fest zu planen!

Bildquelle: Andy Happel
  1. Wang, G. and Dillon, M.E. (2014), Recent Geographic Convergence in Diurnal and Annual Temperature Cycling Flattens Global Thermal Profiles, Nature Climate Change, 4, 988–992.

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