Zu viele Möglichkeiten oder: kein Plan, was ich wirklich will
Wir leben in einer Welt unbegrenzter Möglichkeiten. Doch ist das wirklich nur vorteilhaft? Was ist, wenn man sich nicht entscheiden kann? – Über die Qual der Wahl, Wankelmut und der Sehnsucht, keine Entscheidungen mehr treffen zu müssen.
Wer bist du und was willst du?
Eine einfache Frage und doch vielleicht die schwerste von allen.
Theoretisch kannst du sein, wer du willst.
Tun was du willst. Hingehen wo du willst.
Du hast die freie Wahl zwischen Karriere oder Familie, Uni oder Ausbildung, Heimat oder Reise, Mainstream oder Nische… Wenn du willst, sei ein Weltenbummler, Freigeist oder Idealist. Scheiß auf die Norm, das ist schließlich dein Leben. Wir besitzen in diesem Land das große Privileg, unser Dasein nach eigenen Wünschen formen zu dürfen. Wer diese Chance nicht nutzt, ist selbst schuld – oder etwa nicht?
Alle Türen und Welten stehen dir offen, du musst dich nur für die richtigen entscheiden.
In Wahrheit aber weißt du gar nicht, wer du bist.
Das Problem ist: die vielen Möglichkeiten betäuben dich. Hinter der Freiheit, durch all diese Türen schreiten zu können, steckt der Entscheidungsdruck, die richtige zu wählen – und das auch noch zur richtigen Zeit. Denn gutes Timing sollte man nicht unterschätzen – überleg jetzt bloß nicht zu lange, sonst verpasst du vielleicht die Chance deines Lebens!
Wie soll man denn da bitte chillen?
Und dann denkst du an alles, was du unbedingt noch machen willst oder wollen sollst und erkennst: du kannst dich einfach nicht entscheiden. Du hast keinen blassen Schimmer, was du wirklich willst oder ob du je die richtige Entscheidung getroffen hast. War das überhaupt dein Wille oder vielleicht doch nur der geheime Wunsch der Allgemeinheit?
Plötzlich fühlst du dich nicht mehr frei, sondern gefangen. Unfähig, überhaupt eine von den 1000 Möglichkeiten in die Tat umzusetzen, weil du nicht weißt, wo du anfangen sollst. Und vor allem nicht, wie du deine kontroversen Bedürfnisse unter einen Hut bringen kannst.
Dabei willst du einfach nur Seelenfrieden…
Eigentlich strebst du einzig und allein nach dem Gefühl irgendwo angekommen zu sein. Ruhe zu finden. Du willst endlich in der Lage sein, diese unendlich vielen Möglichkeiten in eine Schublade zu packen und wegzuschließen. Weil du sie nicht mehr brauchst. Weil der aktuelle Zustand alles ist, was du immer wolltest.
Wenn ich nun ehrlich zu mir selbst bin, muss ich zugeben: die vielen Möglichkeiten belasten mich. Verdammt, ich kann mich ja nicht einmal für eine Eissorte entscheiden! Und der Gedanke daran, dass ich so vieles noch tun und sehen will, setzt mich zusätzlich unter Druck und macht mich wankelmütig. Wie viele schöne Momente habe ich schon verpasst, weil ich in Gedanken bereits immer einen Schritt weiter war?
Ja, ich habe es mittlerweile geschafft, mit wenigen materiellen Dingen zufrieden zu sein. Aber neuen Erfahrungen jage ich fast schon fanatisch hinterher.
Da stellt sich mir die Frage: ist das nicht ebenso eine Form des Überkonsums? Etwas, das auch nicht nachhaltig glücklich macht, sondern nur für kurzweilige Höhepunkte sorgt?
Wir leben in einer Welt unbegrenzter Möglichkeiten. Es klingt toll, ja, in mancher Hinsicht sogar berauschend. Doch nach jedem Rausch kommt irgendwann der Hangover.
Warum machen wir es uns so schwer?
Ich glaube, dass es am Ende die kleinen Welten mit den engen und festen Bindungen sind, die wirklich glücklich und zufrieden machen. Nur ist es gar nicht so einfach diese für sich zu entdecken und sich darauf einzulassen. Denn es bedeutet auch, die große Welt, mit all ihren bunten Möglichkeiten, loszulassen.
Genauso, wie wir nicht alle Dinge auf Erden besitzen können, können wir nicht alles erleben. Vielleicht sind wir manchmal einfach zu gierig und machen uns damit das Leben schwer.
Ein Freund von mir hat diese Qual der Wahl einmal sehr passend mit einer Speisekarte beschieben. „Ich mag keine übergroßen Speisekarten. Ich will wieder die Schulkantine, wo ich jeden Tag zwischen zwei Gerichten wählen kann und fertig.“
Vielleicht ist genau das der Schlüssel zum Glück. Sich seine eigene kleine Speisekarte zu erstellen.
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